Oliver Schmidt

I want my money back

„I want my money back“, nörgelte Margaret Thatcher 1984 beim EU-Gipfel in Fontainebleau, „Ich will mein Geld zurück“ fordert auch die Gesellschaft vom Wissenschaftsbetrieb, den sie finanziert. „Forschungstransfer“ nennen wir den Vorgang, wenn generiertes Wissen in angewandtes Können und Tun umgewandelt wird. Da wird dann zum Beispiel aus gemeinsamen Überlegungen von Medizinerinnen und Programmiererinnen eine neue, habtische Mensch-Maschine-Sprache (Ghost – feel it).

Innerhalb von zwanzig Jahren, zwischen 1995 und 2015, verdoppelten sich die staatlichen Aufwendungen für universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in Deutschland von rund 25 auf 50 Milliarden Euro. Aus dem damit in Forschungsprojekten generierten Wissen hervorgehen sollen Patente für Industriepartner oder gleich die Ausgründung von Unternehmen, die auf globalen Märkten möglichst mithalten können. Das funktioniert: Auch die Zahl angemeldeter Patente steigt in Deutschland langsam, aber stetig.

„Forschung ist die Umwandlung von Geld in Wissen, Innovation ist die Umwandlung von Wissen in Geld.“

Dr. Alfred Oberholz (1952 – 2012), ehemaliger Vorsitzender des Verbandes der Chemischen Industrie.

Das Bild von der Umwandlung von Geld in Wissen und wieder zurück beschreibt die alte Weltsicht ganz gut, die uns Glück durch „Wachstum“ versprach, wobei ein stetig anschwellender Geldberg uns nicht nur reicher, sondern eben auch klüger und letztlich glücklicher machen sollte. Dass „Pustekuchen“ ein freundlicher Euphemismus für die Bezeichnung dieses Vorgangs ist, wissen diejenigen, die es wissen wollen, seit 1972 die Studie „The Limits of Growth“ („Die Grenzen des Wachstums“) den Industrienationen das Missverhältnis aus lokaler Planung und globaler Auswirkung aufzeigte. Der Rest von uns, der etwas länger Zeit brauchte, ist durch Schülerinnen wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer 50 Jahre später mehr oder weniger unsanft geweckt worden. Da stehen wir also, und sind so klug als wie zuvor.

Technische Entwicklungen sind leichter zu vermarkten als das Wissen um soziale oder ökologische Zusammenhänge, „Gesellschaft“ und „Umwelt“ sind keine direkten und zahlungskräftigen Zielgruppen. Während sich Technik patentieren lässt und dadurch attraktiv für Investoren ist, sind technikferne Leistungen und das damit verbundene Wissen ungeschützt. Dabei kann gerade in der Reproduzierbarkeit ein besonderer Vorteil wissensbasierter Dienstleistungen liegen: der Transfer findet eben dadurch unter Umständen besonders schnell und unter Mitwirkung vieler Akteure statt. Statt „Schutz vor Nachahmung“ wird „Verbreitung durch Nachahmung“ wesentlichen Teil einer Transfer- oder Austauschstrategie aus der Wissenschaft sein, wenn wir – und darum geht es – geistes- und gesellschaftswissenschaftliches Wissen an der Entwicklung unserer Lebenswirklichkeit verstärkt teilhaben lassen wollen.

Technische Lösungen tragen in sich nicht selten die Anlage für neue ökologische Fragestellungen und Probleme (E-Mobilität) oder, wenn es ausdrücklich um ökologische Wirkung geht, werden erwartete positive Effekte durch menschliches Verhalten wieder aufgebraucht. Das beschreibt der sogenannte „Rebound Effekt“: Sparsame Motoren führen zu mehr gefahrenen PKW-Kilometern, effiziente Haushaltsgeräte zu Mehrverbrauch durch steigende Ansprüche an Bequemlichkeit, Sauberkeit und Luxus und LEDs führen dazu, dass aus 25 Kerzen an der elektrischen Lichterkette tausend werden. Fazit: Kein nachhaltiger Erfolg im gesellschaftlichen Sinn ist möglich ohne die exzellente Begleitung durch geistes- und sozialwissenschaftliches Know How.

Den Wert eines Unternehmens messen wir in Euro und verlassen uns damit auf ein System, das sich in vielen Jahrhunderten global bewährt hat. Bei der Messung ökologischer und sozialer Wirkungen allerdings kommt dieses System an seine Grenzen. Welchen Wert hat die Natur, wenn sie mehr ist als ein Rohstofflager produzierender Betriebe? Welchen Wert hat der Zusammenhalt einer Gesellschaft, wie bemessen wir „Glück“ oder „Zufriedenheit“ – niemand würde bestreiten, dass dies wichtige Faktoren unseres Lebens sind. Es gibt Ansätze der Impactmessung, wie das Reference Excellence Framework britischer Hochschulen, mit dessen Hilfe die Wirkung von Forschung auf die Gesellschaft beschrieben wird. Die Entwicklung oder der Weiterentwicklung existierender Ansätze der Messbarkeit wichtiger Faktoren jenseits monetären Erfolges wird ein Schlüsselfaktor der Transformation unseres Lebens in eine nachhaltige Gesellschaft sein. Denn, was ist „wertvoller“? Ein Unternehmen, das sein Geschäftsjahr mit 1 Mio. Euro Gewinn abschließt, oder ein Unternehmen, das sein Geschäftsjahr mit 100 Euro Gewinn abschließt und einen hohen, positiven sozialen oder ökologischen Impact nachweisen kann? Unternehmen müssen im Rahmen einer Tripple Bottom Line, also eines dreifachen Summenstrichs wirtschaftliche, soziale und ökologische Kennzahlen und Wirkungen ihres Geschäftsmodells messen und berichten. Voraussetzung (und Wirkung) dieses Umdenkens ist ein Kulturwandel innerhalb der Unternehmen und aller gesellschaftlichen Akteure. Profit zulasten der Gesellschaft und unserer aller Umwelt zu erwirtschaften, Steuern zu sparen bis zur Nullgrenze, Verkauf von nicht recycelbaren Produkten ohne Verwertungs- oder Entsorgungskonzept, Einstellung von Mitarbeitenden ohne angemessene Löhne und Sozialversicherungskonzepte – all dies sind keine Ausnahmen, keine Verfehlungen am Rande unseres Wirtschaftslebens, sonder Säulen unsrer Gesellschaft. Wir können und müssen vor allem diese Haltung überwinden.

Prof. W. Nicol Keith, Director of Impact, Institute of Cancer Sciences, University of Glasgow, Scotland, stellte seine Sicht auf einer Konferenz des Stifterverbandes im Januar 2020 zum Thema Wissenstransfer mit zwei Fragen dar.

Die klassische Fragestellung:
– Wie retten wir Leben durch die Entwicklung von Medikamenten gegen Krebs? Dies ist die klassische Fragestellung vor dem Hintergrund von rund 200.000 Toten durch Krebs pro Jahr in Deutschland.

Die etwas andere Fragestellung:
– Was brauchen Überlebende einer Krebserkrankung individuell und gesellschaftlich, um in ihr Leben zurückzufinden?

Diese Fragestellung, die für 800.000 Menschen in Deutschland pro Jahr relevant ist, können nicht Mediziner und Naturwissenschaftler allein beantworten, sondern nur im Verbund mit Expert/innen der Psychologie, der Soziologie und anderer Fachrichtungen.

Er lieferte gleich ein zweites Beispiel aus seinem Fachbereich: Wie gelangen Patient/innen wieder in den Besitz ihrer Daten, die das medizinische System über sie gesammelt hat? Dies ist weder eine rein medizinische noch eine technische Frage, sondern braucht juristische und soziologische Expertise.

Nicht jede Lösung, nicht jede gute Idee passt in ein Geschäftsmodell, wir müssen erweiterte Transfermöglichkeiten ins Auge fassen oder entdecken, wo es diese bereits gibt: populäre Methoden der Veröffentlichung wissenschaftlicher Ansätze, Kooperationen mit Unternehmen (dass klassische Unternehmen aller Industrien nicht nur technische, sondern ebenso dringend ethische, soziale, ökologische und philosophische Expertise benötigen, darf an dieser Stelle unterstellt werden), Konferenzen, Ausstellungen und andere gesellschaftliche Austauschformate. In den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften selbst sind diese Formate längst vorhanden, nur müssen sie von den Universitäten ebenso systematisch unterstützt werden, wie die klassischen Ausgründung von Unternehmen, die bislang noch überwiegend aus Forschungsvorhaben der Natur- und Ingenieurwissenschaften kommen.


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