Das bekannte Konzept „Business Model Canvas“ von Alexander Osterwalder visualisiert die Beziehungen zu Kund*innen, Geschäftspartner*innen und Stakeholdergruppen und stellt die Leitfragen: Mit wem (im Außen) kann unsere Organisation was unternehmen? „Balanced Environment“ macht dagegen deutlich, wo wir mit unserer Unternehmung stehen (Am Anfang? Am vermeintlichen Ende? In der Krise? Was ist der nächste Schritt?), welche Handlungsoptionen wir haben und welche Eigenschaften und Ressourcen wir dafür vor allem im Team versammeln müssen. Es bietet Orientierung auf dem Weg von der Idee zur optimalen Umsetzung und darüber hinaus.
Balanced Environment lehnt sich dabei gleich an mehreren Forschungsansätze an: Die Arbeiten der Professoren Schreyögg und Sydow, beide am Management-Department der Freien Universität Berlin, zu Pfadabhängigkeit in Organisationen beschreiben, wie sich der Entscheidungs- und Entwicklungsspielraum im Zeitverlauf einer Organisation einengt.
Am Anfang eines Managementprozesses stehen mehrere Alternativen zur Auswahl, Prozesse verhalten sich nicht deterministisch, sondern chaotisch. Ein kleiner Einfluss kann hier einen großen Effekt haben und zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen. Nachdem sich eine bestimmten Alternative etabliert hat, folgt eine stabile Phase. Positive Rückkopplungseffekte verstärken den eingeschlagenen Pfad, kleinere Einflüsse bewirken kaum eine Richtungsabweichung. Waren andere Alternativen zuvor noch relativ mühelos erreichbar, wird ein bewusstes Umschwenken in der stabilen Phase deutlich aufwendiger. So wird an einem Pfad unter Umständen selbst dann festgehalten, wenn sich später herausstellt, dass eine Alternative überlegen gewesen wäre. Pfadabhängige Prozesse sind also nicht selbstkorrigierend, sondern verfestigen unter Umständen sogar Fehlentwicklungen.
Beliebtes Beispiel ist die QWERTZ Tastatur (englisch QWERTY, benannt nach den ersten Buchstaben, beginnend links oben), die seit der Entwicklung der ersten Schreibmaschinen kaum verändert wurde. Andere Anordnungen der Buchstabenfelder sind längst entwickelt und nachweislich besser – aber vorhandene Software, Hardware, menschliche Ressourcen und unser Hang zum Bewährten lassen es bisher nicht zu, neue Konzepte erfolgreich einzuführen. So tippe ich diese Zeilen an einem modernen, leistungsfähigen I-Mac, der mich mit seiner Rechenleistung zwar zum Mond geleiten könnte, dessen Tastatur aber der Reiseschreibmaschine „Remington 2“ von 1871 entspricht. Geht’s noch, Siri?
Der Forschungsansatz, dem Balanced Environment vor allem folgt, nennt sich Cynefin und stammt vom walisischen Wissenschaftler Dave Snowden. Cynefin ist ein walisisches Wort, das üblicherweise im Deutschen mit ‚Lebensraum‘ oder ‚Ort‘ übersetzt wird, obwohl diese Übersetzung nicht seine volle Bedeutung vermittelt. Eher geht es darum, dass wir alle mehrere Vergangenheiten haben, derer wir uns nur teilweise bewusst sein können: kulturelle, religiöse, geographische, geschichtliche und andere Prägungen und Erfahrungen bestimmen unser Handeln heute und in Zukunft. Cynefin teilt mögliche Managementsituationen in vier Felder auf, die ich für Balanced Environment bisher weitestgehend übernommen habe: „chaotic“, „complex“, „complicated“ und „simple“.
Der Begriff „Ursprung“ ersetzt bei Balanced Environment inzwischen das „Chaos“, denn er beschreibt besser die Möglichkeiten, die in diesem Feld liegen. Zukunft ist ungeschrieben, die Möglichkeiten sind unendlich. So wie das chinesische Schriftzeichen für „Krise“ die Zeichen für „Gefahr“ und „Chance“ enthält, kann im Chaos beides warten: hier liegen Anfang und Ende, Ende und Neuanfang, dicht beieinander.
Das Chaos ist der Ursprung jeder Entwicklung, die irgendwann systematisch nach Lösungen sucht und am Ende optimiert wird. Wirklich am Ende? Nein – mit der Orientierung, die Balanced Environment uns gibt, können wir jederzeit wieder den kreativen Raum der Entwicklung eröffnen um neue Produkte zu schaffen, Märkte zu entdecken oder um mit schwierigen Situationen kreativ umzugehen.