Oliver Schmidt
Max der Kater

Märkte im Kopf

Über Märkte in Bewegung – und die ökologische Frage
Was man alles bestellen kann, um noch nachhaltiger zu leben: Brotbeutel und Abdeckhauben aus Stoff für Lebensmittel sowie Nüsse aus dem Himalaya als Ersatz für Waschmittel. Ich habe neulich erst 22 unterschiedliche Haushaltsreiniger im Küchenschrank gezählt und war so erschrocken, dass ich umgehend fünf weitere, noch nachhaltigere, bestellt habe. Klar ist: Den steigenden Umsatz an solchen Lifestyleprodukten können wir längst nicht mehr als Indikator für nachhaltige Lebensweise heranziehen.

Über Märkte in Bewegung – und eine ethisch Frage
Ich hole gleich unseren Kater mit sehr differenten Gefühlen aus der Tierklinik, obwohl die Veterinärin ihn gerne noch ein paar Tage zur Beobachtung dort behalten hätte. Nicht ganz unerheblich zu meiner Entscheidung beigetragen hat, dass der Tag im Tierhospital über 100 Euro kostet und drei Tage nach seinem Unfall inklusive vieler Untersuchungen schon ein hoher dreistelliger Betrag aufgelaufen ist.
Wir wollen alles für unser wirklich geliebtes Tier tun, gleichzeitig finde ich es zynisch, dass er mit Lungenröntgen und Echo-Kardiografie schon mehr Versorgung in Anspruch genommen hat, als den meisten Menschen unserer Erde jemals zugänglich sein wird. Im Wartebereich liegen Broschüren zum Umgang mit Übergewicht bei Hunden oder Arthrose bei Katzen.
Das Tier ist aus der Natur über die Haltung in der Mitte der Familie angekommen – doch gehört es da auch hin? Dass es sich für uns gut anfühlt ist noch keine befriedigende Antwort.

Märkte existieren eigentlich nur in unserem Kopf
Dies sind zwei Beispiele für Märkte, die dadurch entstehen, dass Lebenssituationen und Werte sich verändern. Märkte wachsen, überschneiden sich mit anderen, irgendwann verschwinden sie und tauhen vielleicht unter veränderten Vorzeichen woanders wieder auf. Eigentlich gibt es gar keine Märkte, sondern lediglich unsere Vorstellung davon. Natürlich liegt es nahe, alle essbaren Produkte als Lebensmittel und dementsprechend alle verkauften Lebensmittel (oder die weggeworfenen, offenbar ein trauriger Wachstumsmarkt) als Lebensmittelmarkt zu beschreiben. Gleichzeitig aber sind einige Produkte relativ nüchterne Ernährungsgrundlage, andere wiederum Lifestyleprodukte, die unsere emotionale Selbstwahrnehmung und unseren nach außen vorgeführten Status ebenso sehr bestimmen wie die Schallplattensammlung, der Jahresvertrag im Gym oder die neueste App.

Für Unternehmen bedeutet das, durch eine veränderte Wahrnehmung dessen, was wir als Markt bezeichnen, verändern wir grundlegend unser Geschäftsmodell. Ein Beispiel aus meiner Praxiserfahrung: Ein Künstlerkollektiv bietet Bilder und Skulpturen für jeweils einige hundert Euro an, also sehr wenig auf dem Kunstmarkt. Sie schaffen es aber nicht, sich zu etablieren und wahrgenommen zu werden. Erst als eben diese Fixierung auf den sogenannten Kunstmarkt aufgehoben wird und man sich klarmacht, dass sie eher mit Einrichtungshäusern gegen eine teure Vase oder eine edle Stehlampe konkurrieren, beginnt das Geschäftsmodell zu leben. Neue Positionierung, andere Kundenkreise und Vertriebskanäle – am Anfang aber stand eine veränderte Wahrnehmung. Scheinbar geschlossene oder gesättigte Märkte unterliegen unter der Oberfläche teils massiven Veränderungen, wie Luftblasen in zähflüssiger Magma öffnen sich Potentiale und Gelegenheiten. Aus Lebensmitteln und Haushaltsreinigern werden Lifestyleprodukte und ersetzen mein Auto, mein Boot und mein Haus als Statussymbol. Die Tierpflege rückt in den Bereich der Familie und damit in direkte Nachbarschaft zum stark wachsenden Gesundheits- und Pflegemarkt. Das mag man als zynisch empfinden, diese Beschreibung trifft allerdings auf zahlreiche andere Märkte ebenso zu.

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