Oliver Schmidt

Design. No Thinking.

Warum das Scheitern einzelner für uns alle so wichtig ist.

Die Welt des Managements ist voller erfolgverheißender Tools, die ich selbst gerne anwende, weiterdenke und empfehle: Design Thinking, die Methode der Produktentwicklung durch den Kopf, das Herz und die Hand des Kunden bzw. späteren Nutzers. Lean Startup, das unser Angebot mit hoher Entwicklungsgeschwindigkeit durch einen nie endenden Verbesserungsprozess hindurchjagt. Oder Effectuation, mit dessen Hilfe wir unser Unternehmen Schritt für Schritt weiterentwickeln.
Welche dieser vielversprechenden Schrittfolgen ist eigentlich der Natur am ähnlichsten? Schließlich bringt die Natur seit Millionen Jahren perfekte Formen und Funktionen hervor. Welches Prinzip der Produkt- und Organisationsentwicklung, das wir im Management anwenden, kennt die Natur? Welches der oben genannten Modelle entspricht wenigstens in Teilen der Evolution, wie wir sie kennen und verstehen? Keines.

Design. No Thinking.

Eines der wichtigsten evolutionären Prinzipien ist Trial and Error, also der gescheiterte Versuch, der, in der Regel vielfach, vor dem Erfolg steht. Wie viele Käfer mussten scheitern, bevor eine neue, genveränderte Art sich durchsetzte? Millionen.
Der Käfer zählt scheinbar nicht viel in der Natur. Er dient vor allem als Futter für höhere Lebewesen. Doch: nur jedes fünfte Tier aus unserem Planeten ist kein Insekt, Insekten dürften die Krone der Schöpfung für sich beanspruchen – wer wollte ihnen widersprechen? Doch es geht nicht um Käfer, sondern um die Frage, wie die Natur mit immer neuen, immer perfekten „Produkten“, also Designs und Lösungen daher kommt. Indem sie ausprobiert und massenhaft scheitert, bevor ein neues Modell, eine neue Art sich durchsetzt und „am Markt“ etabliert.

Wir aber ächten das Scheitern immer noch als fehlerhaft, statt es als notwendigen, wenn auch schmerzhaften Schritt auf dem Weg zum Gelingen zu erkennen. Dass wir auf Partys lieber von unseren Erfolgen als von unserem täglichen Scheitern berichten – geschenkt. Aber wie können wir es als Gesellschaft schaffen, Menschen zum Ausprobieren, und damit auch zum wahrscheinlichen Scheitern zu ermuntern? Wir alle warten auf den nächsten „Heißen Scheiß“, nach Virtual Reality View, selbst fahrenden Autos und Röntgenbrille. Warum aber fällt es so schwer, jene zu unterstützen, die bei dem Versuch scheitern, uns unsere Wünsche zu erfüllen? Oder ist gar die Ächtung das Pendant zum Tod des Käfers, der scheiterte, weil seine Mutation zur falschen Zeit am falschen Ort erfolgte.Gesellschaften brauchen eine gesunde Balance aus der Motivation, sich erfolgreich durchzusetzen und der Möglichkeit, nach einem Nicht-Erfolg weiterzumachen. Nicht aus Mitleid mit dem Gescheiterten, sondern als Ansporn, fortzufahren. Kein Kind, das das Gehen erlernt, würde für seine Fehlversuche getadelt werden. Stattdessen erhält es Lob dafür, dass es nicht aufgibt. Und irgendwann kann es laufen, nicht nur zu seinem eigenen Nutzen, sondern zum Wohle Vieler.

Am Ende um der Fairness und der Ehrlichkeit Willen: Effectuation formuliert ein hilfreiches Prinzip des Scheiterns. Anstatt nämlich den erwarteten Ertrag zu formulieren (zu errechnen oder, meist treffender: zu phantasieren), sollten wir den leistbaren Verlust kalkulieren. Also: Was kann ich im nächsten Schritt einsetzen um, selbst im Falle des Totalverlusts, weiter arbeiten und weiter leben zu können? Wie beim Kind, das wenig riskiert, weder seine Gesundheit, noch seine Existenz. Die Eltern oder älteren Geschwister sind meist dabei, wenn die ersten Gehversuche gemacht werden.
Das Kind spekuliert nicht auf das Ziel, eines Tages ein erfolgreicher Sprinter zu werden. Sein Risiko des Scheiterns ist gering, Kleinkinder verletzen sich in der Regel nicht bei ihren Fehlversuchen. Natur und Gesellschaft sorgen dafür, dass aus der Gesamtzahl aller Kinder eine gut proportionierte Mischung aus Sprinterinnen, Philosophen, Ärzten, Hausmeistern und Unternehmensberaterinnen hervorgeht. Und jeder dieser Lebenswege begann mit einem Scheitern.

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