Oliver Schmidt

Weißte Bescheid? Das Fünfeck der (Kauf) Motivation

Neil Armstrong und Edwin „Buzz“ Aldrin beobachten den Start der Trägerrakete vom Boden aus. Sie sehen, wie die Zündung der fünf Triebwerke, jedes von ihnen stärker als 20 Jumbojets, Feuer und Rauch in ihre Umgebung speien, wie die Saturn V quälend lange 13 Sekunden braucht, um den Kabelturm zu passieren und endlich nordöstlich Richtung Himmel zu donnern. Es dauert ein einige Minuten, bis der Vorgang etwas Leichtes, etwas Erhabenes und tatsächlich etwas Göttliches bekommt. Nicht weniger als das war der Anspruch. Apollon, griechischer Gott der Sonne und der Weisheit, war Namensgeber der US-amerikanischen Missionen zum Mond. Die Expeditionen sollten den bis dahin ausschließlich durch Fernforschung und unbemannte Sonden ausgespähten Mondraum ausleuchten. Am 21. Dezember 1968, kurz vor 19 Uhr Ortszeit, verschwand die Rakete im Himmel. Der Auftrag an die Air Force Piloten und Wissenschaftler Lovell, Anders und Bormann: Mond umrunden, Fotos machen und möglichst heil wieder zurückkommen.

Die beiden Zuschauer Armstrong und Aldrin betraten erst ein halbes Jahr später selbst als Erste Erdlinge den Mond. Heute aber ging es um mehr, nämlich um einen Blick auf uns Menschen selbst. Das erste Foto von der blauen, verletzlichen Erde, die am Horizont des Mondes aufgeht. „Earthrise“, geschossen am Heiligabend vom Piloten der Apollo 8 Mission William Anders auf einer Hasselblad, wurde zu einem der am meisten reproduzierten Ablichtungen bis heute und hat unseren Blick auf die Welt und unsere Rolle darin nachhaltig verändert.

Einer war bei allen Apollo Missionen mit an Bord – der Computer. Mit Bedienelementen nahm er ungefähr einen kühlschrankgroßen Raum ein. Der Speicher konnte sich 72 KByte merken, das sind ungefähr 15 beschriebene DIN A 4 Seiten, der Prozessor konnte 4KByte verarbeiten. Das musste reichen.

Unnötig auszurechnen, wieviel leistungsfähiger heutige Alltagsgeräte im Gigabereich sind. Wir erforschen mit Ihnen nicht den Weltraum, sondern spielen „Funrace 3D“, posten gesunde Gerichte in der Instastory und evaluieren den Grad unserer Beliebtheit auf Facebook. Das Reh springt hoch, das Reh springt weit. Warum auch nicht, es hat ja Zeit (Heinz Erhardt). Eines aber wollen wir sicher nicht: Zur Bedienung dieser Wundermaschinen, die uns die Welt erschließen und uns der Welt preisgeben, einen Lehrgang zu besuchen. Unsere Erwartung ist, dass wir ein Handy, einen Laptop oder eine Gamingkonsole kaufen, auspacken und loslegen können. Wir wollen, nein wir MÜSSEN wissen, damit wir uns leichterhand für den Kauf komplexer Produkte entscheiden können. Und das ist, aus Sicht des Anbieters, gar nicht so einfach zu erfüllen.

Welche Rolle spielt Wissen aus der strategischen Sicht der Produkt- und Angebotsentwicklung? Sie ist nicht hoch genug einzuschätzen.

Wissen: Weiß derjenige Bescheid?
Wollen: Eigenmotivation
Müssen: Bestimmungen
Können: Stehen die Ressourcen zur Verfügung?
Sollen: Wie ist der gesellschaftliche Trend?

Die Psychologie beschreibt Motivation als die Gesamtheit aller Beweggründe und Einflüsse, die eine Entscheidung, Handlung (oder Nicht-Handlung) beeinflussen beziehungsweise zu einer Handlungsweise anregen. Es geht also nicht nur um die Frage, was wir wollen – sondern außerdem darum, ob wir das dann auch können.
Die Leitung eines Unternehmens, die Mitarbeit in einem Team oder der Draht, den eine Organisation zu ihren Kundinnen und Kunden hat – es geht im Arbeitsleben ebenso wie im Leben um Beziehungen. Wenn wir dies bedenken, wird klar, dass es beim Verkauf von Produkten und Serviceangeboten im viel mehr geht, als darum, durch attraktive Angebote Zielgruppen zum „Wollen“ zu bewegen.

  1. Wissen: Hätte ich meine Kunden gefragt, was sie haben wollen, hätten sie geantwortet „Schnellere Pferde“ – dies soll Henry Ford gesagt haben. Seine Kunden konnten nich ahnen, dass es möglich wäre, leitbare Automobile für unterschiedliche private und berufliche Zwecke in Fließbandarbeit herzustellen und zu verkaufen, denn all das gab es noch nicht, als 1908 die erste „Blechliesel“ vom Band rollte. Es bleib das meistverkaufte Auto, bis es 1972 von einem Mobil mit dem Spitznamen „Käfer“ abgelöst wurde. Heute glauben wir, genau zu wissen, was wir wollen – lassen uns dafür aber recht häufig durch Produkte überraschen, die wir bis zu ihrem Erwerb weder kannten noch vermissten. Wissen ist eine Voraussetzung des Begehrens.
  2. Wollen bezeichnet den inneren Wunsch, etwas zu tun oder zu lassen, wir können es auch als Eigenmotivation bezeichnen
  3. Müssen steht für äußeren Druck durch Regeln, beginnend mit dem hausmeisterlichen Aushang im Treppenhaus, über Gesetze, deren Nichteinhaltung mit Strafen belegt ist, bis hin zu Naturgesetzen, zum Beispiel, dass wir alle einmal sterben müssen.
  4. Können beschreibt die Fähigkeit, etwas zu tun. Stehen einem die notwendigen Ressourcen zur Verfügung? Bin ich wohlhabend genug, mir das Luxusprodukt, das ich begehre, zu leisten? Bin ich klug genug, es zu bedienen? Oder bin ich gelassen genug, mir den Wunsch zu versagen und trotzdem gut zurecht zu kommen?
  5. Sollen hat viele unterschiedliche Bedeutungen, von sanftem Druck („hättest Du nicht anrufen sollen?“) über schicksalshafter Ergebenheit („es sollte nicht sein“) bis zur Drohung („der soll mir nur kommen“) ist dieses sympathische Verb vielseitig einsetzbar. In unserem Fall beschreibt es eine gesellschaftlich vorgegebene Richtung, einen Trend.

All das bestimmt, was wir tun und wie wir handeln. Ein Unternehmen, das, sagen wir mal, batteriebetriebene Fahrräder verkauft, kann seine Strategie nun entlang dieser Leitplanken ausrichten.

  1. Manche Produkte sind erklärungsbedürftiger, als andere. Früher haben Menschen sich beim Kauf eines einfachen Fahrrades ausführlich von Experten in Warenhäusern beraten lassen – heute liefern Vergleichsportale im Internet Informationen und gut aufbereitetes Wissen über alle denkbaren Produkte. Als Hersteller kann ich hier steuern: Wissen meine Kunden alles, was sie zum Erwerb eines E-Rades hilfreich oder gar erforderlich ist? Es gibt Padelecs,… – Helmpflicht, Geschwindigkeitsbeschränkungen, Radweg oder Straße – es gibt für Interessenten zunächst mehr Fragen als Antworten. Auf der anderen Seite hat niemand Lust, vor einer Kaufentscheidung Seminare zum Thema zu besuchen. Obwohl jedes Mobiltelefon komplexer ist als der Computer, der die Apollo Missionen zur Monderkundung führte, wollen wir uns schnell entscheiden, kaufen, auspacken und loslegen. Geht das? Ja – aber es stellt eine enorme Herausforderung vor Programmierer, Produktdesigner und Kommunikationsexperten dar, diesen Vorgang möglich zu machen. Über die Handhabung von Landmaschinen oder den korrekten Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung gibt es aufwändige Videos – der Nutzer muss zu dieser hohen Involvieren allerdings eine hohe Bereitschaft mitbringen. Der Transfer von komplexem, erforderlichem Wissen stellt das Produktdesign, die Kommunikation und den Vertrieb vor hohe Herausforderungen.
  2. Besteht bei potentiellen Zielgruppen eine intrinsische Motivation, den Kauf eines E-Rades in Erwägung zu ziehen? Ist der Gedanke attraktiv, interessant oder in einem positiven Sinn herausfordernd?
  3. Gibt es gesetzliche Bestimmungen, die die diese Motivation befördern, zum Beispiel Vorgaben zur Reduzierung von CO2 Emissionen bezüglich des Fuhrparks von Unternehmen? Diese Überlegung ist insofern interessant, als sie unseren Fokus auf eine bestimmte Zielgruppe, wie zum Beispiel Nutzer von Unternehmensfahrrädern, lenkt.
  4. Können die Zielgruppen sich den Kauf leisten? Diese Fragestellung ist für Automobilhersteller der Grund, über eigene Banken Kreditangebote zu machen. Nicht jeder, der sich einen Neuwagen erträumt, kann ihn sich auch leisten. Wenn Banken hier attraktive Angebote machen, hat sich die Zielgruppe deutlich vergrößert. Auch Haushaltsgeräte, Consumer Electronics, E Räder und viele andere Produkte werden über Finanzierungsangebote attraktiv gemacht.
  5. Letztlich folgen wir dem Strom, auch wenn wir auf Partys gerne das Gegenteil behaupten. Für fast jeden Weg gibt es jemandem, dem oder der wir folgen können, weil sie ihn schon gegangen ist. Und wenn vorbildlich oder einfach cool, Menschen dabei zu beobachten, wie sie ihr Ding machen, dann kann es doch nicht verkehrt sein, deren Ding nachzumachen, oder? Eben. Gesellschaftliche Trends geben uns die Sicherheit, auf der „richtigen“ Seite zu stehen, und das ist gar nich so verkehrt, wie es sich anhört. Manchmal ist es eben auch gut, ein bißchen was zu wissen oder selbst zu wollen, statt immer nur zu sollen oder zu müssen. Alles klar?

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